Ergebnisse der Befragung von pädagogischen Fach- und Lehrkräften
Sorgen
Welche Risiken sind aus der Sicht von Lehr- und pädagogischen Fachkräften mit der Online-Nutzung von Kindern und Jugendlichen verbunden?
Einstellungen
Wie stehen Lehr- und pädagogische Fachkräfte zu bestimmten Maßnahmen des Jugendmedienschutzes?
Wissen
Was wissen Lehr- und pädagogische Fachkräfte über das Jugendmedienschutzsystem in Deutschland?
Handeln
Welchen Rahmen bieten Schulen und pädagogische Einrichtungen in Bezug auf medienpädagogische Aktivitäten?
Risikowahrnehmung
Welchen Rahmen bieten Schulen und pädagogische Einrichtungen für jugendmedienschutzbezogenes Wissen und Handeln?
Fazit
Schlussfolgerungen für Bildungspolitik, -organisation und -praxis sowie Medienpolitik und -anbieter.
Sorgen
Die befragten Lehrkräfte und pädagogischen Fachkräfte sehen im Bereich der Online-Kommunikation durchaus Anlässe für Kinder- und Jugendmedienschutz: Im Vordergrund stehen dabei inhaltsbezogene Risiken. Viele formulieren jedoch auch kritische Anmerkungen zu Versäumnissen der Eltern und zu mangelnder Medienkompetenz der Heranwachsenden sowie (selbst-)kritische Hinweise auf Defizite des Lehrpersonals und der Bildungseinrichtungen bei der Unterstützung des Jugendmedienschutzes und der Vermittlung von Medienkompetenz.
Während sowohl bei Heranwachsenden als auch bei ihren Eltern die Sorge um den Kontakt mit verstörenden oder beängstigenden Inhalten mit steigendem Alter abnimmt, gewinnen Risiken in Bezug auf die Interaktion mit anderen Heranwachsenden (z. B. Mobbing) zunehmend an Bedeutung. Insgesamt verlagern sich damit die Schwerpunkte des Sorgenspektrums weg von den Risiken, die der klassische Jugendmedienschutz abdeckt.


Auf die konkretere Frage nach den Erfahrungen, die die Kinder, mit denen die Befragten arbeiten, bereits gemacht haben, lassen sich Abweichungen vor allem bei den gravierenderen und folgenreicheren Risiken feststellen: So sagen "nur" 61 Prozent, dass sie im Allgemeinen davon ausgehen, dass Heranwachsende "(sehr) oft" gemobbt werden, während immerhin 86 Prozent sagen, dass unter den Kindern, mit denen sie arbeiten, bereits Mobbing vorgekommen ist; die meisten übrigen geben an, dies nicht zu wissen - kaum jemand geht also sicher davon aus, unter den Heranwachsenden im eigenen Tätigkeitsbereich werde niemand gemobbt.
Die Befragten sind sich weitestgehend einig darin, dass grundsätzlich Bedarf besteht, Heranwachsende bei der Online-Nutzung und der Bewältigung möglicher Risiken zu unterstützen. Das gilt für auch und vor allem für die eher nicht-technikbezogenen Aspekte der Online-Nutzung, etwa für die Fähigkeiten, Informationen auf ihre Wahrheit zu überprüfen oder angemessene Formen der Selbstdarstellung in den sozialen Medien zu entwickeln.
Einstellungen


Die höchste Verantwortung für den Jugendmedienschutz schreiben die Befragten Eltern zu und, ganz im Sinne des traditionellen Jugendmedienschutzes, am wenigsten den Kindern selbst. Die Verantwortungsübernahme von Eltern und Kindern wird eher gering eingeschätzt, insbesondere wenn es um die 13- bis 14-Jährigen geht, eine Altersgruppe, die sich auch in Bezug auf die Risikobewertung als der verstärkten Aufmerksamkeit bedürftig erweist.
Verantwortung für den Jugendmedienschutz sprechen die Lehrkräfte und pädagogischen Fachkräfte nach den Eltern in höchstem Maße Anbietern von Inhalten und Medienstrukturen sowie Aufsichtsbehörden und Politik zu. Den Bildungssektor sehen sie, wie übrigens auch Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrollen, dagegen nicht im Spitzenfeld der verantwortlichen Akteure. Dieses Bild dreht sich um, wenn es um die Beurteilung der Verantwortungsübernahme geht. Schulen und außerschulische Bildungseinrichtungen sowie Behörden und Selbstkontrolleinrichtungen gehören zu den als am zuverlässigsten wahrgenommenen Verantwortungsträgern.
Wissen
Die befragten pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte kennen sich, ähnlich wie die Eltern, in Grundzügen mit den Zielen und Regelungen des gesetzlichen Jugendmedienschutzes aus; im Hinblick auf die Details zeigen sich jedoch auch einige Unsicherheiten.

Die medienpädagogische Vorbildung der Lehrkräfte und pädagogischen Fachkräfte hängt zusammen mit der Selbsteinschätzung, ob die Befragten Kinder und Jugendliche beim Umgang mit Online-Risiken unterstützen können. Ein positiver Effekt findet sich hier nicht nur in der optimistischeren Selbsteinschätzung, sondern auch in der Kenntnis von Meldemöglichkeiten und insbesondere einschlägiger Hilfsangebote. Meldemöglichkeiten und Hilfsangebote sind bei den befragten Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften insgesamt bekannter als bei den Eltern. Zugleich ist aber einschränkend anzumerken, dass dennoch knapp zwei Drittel der Befragten entsprechende Meldemöglichkeiten und knapp die Hälfte einschlägige Unterstützungsangebote nicht kennen.
Immerhin über 60 Prozent der Befragten haben innerhalb der letzten fünf Jahre im Rahmen von Fortbildungen bzw. Weiterbildungen aktuelle Informationen zum Jugendmedienschutz erhalten und eine ebenso große Gruppe informiert sich selbst aktiv über Fachmedien zu diesem Thema. Die Ergebnisse sprechen insgesamt dafür, einschlägige Fort- und Weiterbildungen vorzuhalten sowie darüber hinaus einen Zugang zu spezifischen Fachmedien zu gewährleisten.
Handeln
Den befragten Lehr- und pädagogischen Fachkräften in den jeweiligen Einrichtungen sind die Themen Jugendmedienschutz und Medienbildung präsent. So ist mit 89 Prozent der Anteil an Einrichtungen, in denen in der einen oder anderen Art medienpädagogische Aktivitäten stattfinden, recht hoch. Die Tatsache, dass allerdings mehr als die Hälfte der Befragten dem Themenfeld einen höheren Stellenwert in der Einrichtung zuweisen würden, verdeutlicht zugleich einen Handlungsbedarf aus Sicht der Befragten. Dieser explizit eingeforderte höhere Stellenwert deutet zudem auf eine hohe Motivation bzw. Aufnahmebereitschaft der Befragten hin.

Das konkrete jugendmedienschutzbezogene Handeln hängt eng mit den dafür gegebenen Rahmenbedingungen an den Schulen und außerschulischen Einrichtungen zusammen. So handeln Befragte häufiger im Sinne des Jugendmedienschutzes, wenn es an der Einrichtung entsprechende institutionelle Vorgaben gibt. Die institutionellen Rahmenbedingungen scheinen eine Thematisierungs- und Ermöglichungsfunktion für das jugendmedienschutzbezogene Handeln zu erfüllen. Doch auch hier zeigen sich strukturelle Probleme: So findet sich ein relativ hoher Anteil an „weiß nicht“-Angaben bezüglich der Rahmenbedingungen an den Einrichtungen.
Erkennbar wird in den Ergebnissen darüber hinaus, dass das Thema digitale Medien in Bildungskontexten noch immer polarisiert. So gibt es zum einen eine Gruppe von Befragten, die die Nutzung von Online-Medien nicht in ihrer Arbeit thematisieren und sich auch nicht über mögliche Gefahren der Nutzung von Internetmedien informieren. Diese Befragten scheinen das Thema schlicht zu meiden. Zum anderen finden sich im Spektrum des konkreten pädagogischen Handelns neben verschiedenen Formen, die Kindern und Jugendlichen die Nutzung von Online-Medien eingeschränkt ermöglichen, auch die beiden Extreme, dass die Nutzung entweder vollkommen unreguliert ermöglicht oder im Gegenteil komplett verboten wird. Dass sich für diese Praxis Pro- und Contra-Argumente anführen lassen, spiegelt auch die insgesamt geteilte Meinung der Befragten wider.
Risikowahrnehmung
Im Hinblick auf ein jugendmedienschutzbezogenes Handeln hinsichtlich verschiedener Altersgruppen von Heranwachsenden sind zwei Befunde auffällig und medienpädagogisch wie auch medienpolitisch relevant: Erstens werden inhaltebezogene Regelungen insbesondere bei der jüngsten Altersgruppe umgesetzt, wohingegen diese Art des Handelns bei fortschreitendem Alter der Heranwachsenden zunehmend in den Hintergrund rückt. Dies findet vor dem Hintergrund statt, dass die befragten Lehr- und pädagogischen Fachkräfte im Vergleich zu den befragten Eltern Inhalterisiken auch für ältere Jugendliche noch als sehr relevant einschätzen. Dieses Ergebnis deckt sich mit dem Ergebnis der repräsentativen Befragung von Eltern und Kindern, wonach die Eltern der 11- und 12-Jährigen besonders besorgt sind und auch spätestens mit dem Alter von 13/14 Jahren eher regelorientiertes schutzbezogenes Handeln weniger weit verbreitet ist und vor allem das Gespräch mit den Heranwachsenden als Handlungsoption bleibt (vgl. Brüggen et al 2017, S. 84).
Zweitens ist die Altersgruppe der 11- bis 14-Jährigen diejenige, bei denen der größte Anteil der befragten Lehr- und Fachkräfte das Gespräch mit den Heranwachsenden sucht und ihnen auch Möglichkeiten vermittelt, wie sie sich selbst vor Online-Risiken schützen können. Zugleich schätzen die Befragten in dieser Altersgruppe auch einschränkende Maßnahmen noch als zielführend ein, was darauf hinweist, dass in dieser Altersgruppe ein Umbruch stattfindet, der offenbar mit einer erhöhten pädagogischen Aktivität begleitet wird. Gleichzeitig sehen die Befragten die jugendmedienschutzbezogene Verantwortungsübernahme gerade dieser Altersgruppe sehr kritisch.
Fazit
Die kompetente Nutzung von Online-Medien ist gleichermaßen Bildungsmittel wie Bildungsauftrag der Schule und der Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung und -hilfe. Dies schließt die Anforderungen ein, einen sicheren Medienumgang der Heranwachsenden in den Bildungsinstitutionen zu gewährleisten sowie die Kinder und Jugendlichen zu einem verantwortungsvollen Medienumgang zu befähigen, der Selbstschutz und Verantwortung gegenüber anderen Mediennutzenden vereint. Lehr- und pädagogische Fachkräfte benötigen dementsprechend sowohl selbst umfassende Medienkompetenz und ein hohes Maß an Jugendmedienschutzwissen als auch Klarheit über ihre Rolle im Jugendmedienschutzsystem.
Die Stellung der Lehr- und pädagogischen Fachkräfte ist im System des Jugendmedienschutzes wenig formalisiert. Für Eltern sind Lehr- und pädagogische Fachkräfte Ansprechpartner im Hinblick auf Fragen der sicheren Mediennutzung, der Vermeidung von Online-Risiken und Bewältigung von negativen Online-Erfahrungen. Mit der Aufgabe Heranwachsende zum Selbstschutz und zum verantwortlichen Handeln gegenüber anderen Mediennutzenden zu befähigen, haben sie in Bezug auf elterliche Medienerziehung auch kompensatorische Funktion, wenn Eltern ihrem Schutzauftrag nur unzureichend nachkommen können.
Wie und in welchem Maße sich Lehr- und pädagogische Fachkräfte in Bezug auf den Jugendmedienschutz engagieren, hängt nicht nur von ihren Sorgen, Einstellungen und Wissensbeständen ab, sondern auch von bildungspolitischen und institutionellen Vorgaben und Unterstützungsangeboten.
Spannt man den Bedingungsrahmen weiter auf, so spielen Faktoren eine Rolle, die außerhalb des Dreiecks Eltern – Heranwachsende – pädagogische Institutionen angesiedelt sind und die wiederum nicht unabhängig voneinander sind: dies sind rechtliche und bildungspolitische Vorgaben, der öffentliche Diskurs zu Jugendmedienschutzthemen, das Umsetzungshandeln der weiteren Akteure des Jugendmedienschutzsystems sowie die Entwicklungen des Medienmarktes und der Medien selbst. Dieses Gefüge befindet sich in Bezug auf die Aktualisierung des Jugendmedienschutzsystems im Fluss.
Aus den Ergebnissen der Befragung der Lehr- und pädagogischen Fachkräfte und ihrer Zusammenschau mit den Resultaten der Elternbefragung lassen sich unter dem Leitgedanken, wie der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Online-Risiken weiterzuentwickeln ist, Konsequenzen ableiten:
Schlussfolgerungen für Bildungspolitik, Bildungsorganisation und Bildungspraxis
- Übergreifende Perspektive auf die Bedeutung von Bildungsangeboten im Jugendmedienschutz notwendig, die Formen der institutionsübergreifenden Zusammenarbeit ermöglicht
- Eine Klärung notwendig, in welchem Verhältnis die Förderung von Medienkompetenz zu einer präventiven Ausrichtung des Jugendmedienschutzes steht.
- Einrichtungen sollten medienpädagogische Konzepte entwickeln, die explizit den Jugendmedienschutz thematisieren. Auf Basis der Ergebnisse sollten die nachfolgenden Gesichtspunkte bei der Entwicklung der Konzepte Beachtung finden:
- Klärung der jugendmedienschutzbezogenen Aufgaben
- Ansprechpersonen zu medienpädagogischen und jugendmedienschutzbezogenen Fragen
- Medienpädagogische und jugendmedienschutzbezogene Fort- und Weiterbildungen
- Zugangsregelungen zu Online-Angeboten, die ermöglichende Rahmen-bedingungen für die pädagogische Arbeit bieten
- Medienkompetenzförderung ist als Ergänzung zum regulativen Jugendmedienschutz zu stärken
- Altersgruppendifferenzierte Handlungskonzepte notwendig
- Nutzung altersgerechter und risikoarmer Surf- und Kommunikationsräume, in denen Heranwachsende in eine zunehmend verantwortlichere Rolle hineinwachsen können
- Schutz und Befähigung mit Blick auf Medien in der Aus- und Fortbildung verankern. Dabei sind die folgenden Qualifizierungsbedarfe von besonderer Bedeutung:
- Lehr- und pädagogische Fachkräfte brauchen auf fundierten Kenntnissen beruhende Einschätzungen der Maßnahmen des Jugendmedienschutzes und der verfügbaren Unterstützungsangebote, um Eltern und Heranwachsende entsprechend beraten zu können.
- Begleitend zu der Entwicklung von medienpädagogischen Konzepten in den Einrichtungen sollten Lehr- und pädagogische Fachkräfte mit Schutzkonzepten vertraut werden. Hierzu zählen u.a. Konzepte geschützter Surfräume, Jugendschutzfilter aber auch pädagogisch-begleitende Maßnahmen.
- Inhalte des Jugendmedienschutzes und der Medienkompetenzförderung sind nicht nur nachfrageorientiert in Fortbildungsangeboten vorzuhalten, sondern als integralen Bestandteil der grundständigen Ausbildung zu verankern.
Schlussfolgerungen für Medienpolitik und Medienanbieter
Wie oben bereits angesprochen, gehören Lehr- und pädagogische Fachkräfte - wie auch Eltern - nicht zu den unmittelbaren Adressaten der gesetzlichen Regelungen zum Jugendmedienschutz. Gleichwohl kommt ihnen im Sinne einer jugendschutzbezogenen Medienkompetenzvermittlung eine bedeutende Rolle zu - nicht nur, weil sie neben den Eltern eine weitere Kompetenzvermittlungsinstanz für die Heranwachsenden sind, sondern auch, weil sie zudem die Eltern in jugendmedienschutzbezogenen Fragen beraten können. Daher sollen die Ergebnisse der Befragung an dieser Stelle auch im Hinblick auf mögliche Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung des gesetzlichen Jugendmedienschutzes diskutiert werden.
- Lehr- und pädagogische Fachkräfte sehen zahlreiche Anlässe für Maßnahmen zur Förderung des Jugendmedienschutzes und haben die deren Bedeutung für die pädagogische Praxis erkannt
- Akteursvielfalt im Jugendmedienschutz erfordert größtmögliche Transparenz und Koordination
- Aus pädagogischer Perspektive werden Medienanbieter zu einem stärkerem Engagement aufgefordert
- Förderung altersgestufter Verantwortungsübernahme durch risikoarme Surf- und Kommunikationsräume sollten verstärkt gefördert und unterstützt werden
- Nachholbedarf bei der Information über Jugendschutzprogramme und deren Anwendungsszenarien
- Forschungsförderung intensivieren
Autoren:
Christa Gebel
Niels Brüggen
Uwe Hasebrink
Achim Lauber
Stephan Dreyer
Marius Drosselmeier
Marcel Rechlitz
Herausgeber:
FSM - Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V.
Inhaltliche Verantwortung:
Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg